Schmittmann-Retabel

Kunsthistorisches Kleinod ist das Schmuckstück unserer Kirche

vin-schmittmann001uk

Mit dem sogenannten Schmittmann-Retabel hat ein bedeutendes kunsthistorisches Werk wieder Einzug in die St. Vincenz-Kirche gehalten. Es ist ein Altaraufsatz, der von niemand geringerem als der Familie des Mendener Bürgermeisters, die die Tradition der Mendener Kreuztrachten begründet hat, gestiftet wurde.

Lange Zeit fristeten Einzelteile dieses Retabels ein trostloses Dasein auf dem Dachboden der Kirche. Ermutigt durch die Kunstabteilung des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in Paderborn hat sich unsere Gemeinde entschlossen, den Altar restaurieren und wieder in unserer Kirche aufstellen zu lassen.

Zur Wiederentdeckung und Restauration des Retabels schreibt der Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseum, Prof. Dr. Christoph Stiegemann:

„Die Wiederauffindung des ehemaligen barocken Hochaltares in der St. Vincenz-Kirche zu Menden kann als eine kleine Sensation gelten. Vermutlich bereits im 19. Jahrhundert hatte man das nicht mehr in zeitgenössische Ausstattungskonzepte passende, reich gestaltete Retabel im ersten Stock des Westturmes bzw. in der oberen Turmkapelle der Kirche eingelagert, wo es 2003 im Zuge der Inventarisation des Kunstgutes im Erzbistum Paderborn entdeckt worden war. Der Fund zeigt, welche Schätze kirchlicher Kunst in den Gemeinden der Erzdiözese schlummern.

Gestiftet nach Ausweis der erhaltenen Inschriften von dem Mendener Bürgermeister und Richter Wennemar Schmittmann und seiner Ehefrau Anna Maria von Mellin in den Jahren zwischen 1685 und 1691, stellt es ein bedeutendes Beispiel eines barockzeitlichen Altarwerkes in Westfalen dar. Dass dieses Werk des im 19. Jahrhundert so verachteten sog. „Zopfstils“ nicht zerstört wurde, verdankt sich offensichtlich allein der Tatsache, dass die Stifterpersönlichkeit in Menden von überragender Bedeutung war und bis heute hohes Ansehen genießt. Denn es war Bürgermeister Wennemar Schmittmann, der nach den Wirren des 30jährigen Krieges die bis heute alljährlich durchgeführte und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Karfreitagsprozession in Menden begründet hat.

Zwar ist das Retabel in seinen verbliebenen Teilen nicht mehr vollständig, seine Substanz jedoch soweit bewahrt, dass der gesamte Aufbau in allen Teilen einwandfrei in seinen ursprünglichen Massen rekonstruiert werden kann. Neben dem im Chor aufgestellten frühbarocken Hochaltaraufsatz von 1628 bildet es ein eindrucksvolles Zeugnis der wertvollen historischen Ausstattung der Pfarrkirche St. Vincenz zu Menden.

Der ehem. Altar hat seinen Platz an der Ostwand des nördlichen Querhausarmes erhalten. Derart in die Funktion genommen, wird mit der großzügigen Stiftung des Wennemar Schmittmann ein Stück Glaubenstradition ins Bewusstsein gehoben und auch kommenden Generationen lebendig vor Augen geführt. Wir begrüßen ausdrücklich den Entschluss der Kirchengemeinde, das qualitätvolle Werk wieder herzustellen und ihm im Kirchenraum einen würdigen Ort zu geben. Ein solches Engagement ist vorbildlich!“

Informationen zur Geschichte und zur künstlerischen Gestaltung

Das Retabel des Wennemar Schmittmann – Ein barocker Schatz auf dem Turm der St.-Vincenz-Kirche

Bei der Aufnahme des baulichen Bestandes der St.Vincenz-Gemeinde stieß Dr. Jan Richter, damals freier Mitarbeiter des Paderborner Diözesanmuseums, im ersten Geschoss des Westturmes auf bedeutende Reste eines großen hölzernen Retabels. Der Stil der Ornamente ließ auf eine Datierung ins 17. Jahrhundert schließen. Nach eingehender Sichtung der Reste tat sich eine große Überraschung auf: es fanden sich zwei mit Inschriften versehene Podeste. Denen zufolge wurde das Retabel „erbaut von Schmitmann & Mellin“ und „illuminiert von Witwe Johan Lemann“.

Der Stifter: Bürgermeister Wennemar Schmittmann

Die Familie Schmittmann nahm in Menden eine bedeutende Stellung ein. Über viele Generationen hinweg amtierten ihre Mitglieder als Richter und Bürgermeister der Stadt. 1684 trug Wennemar Schmittmann in seiner Funktion als Bürgermeister anlässlich der Grundsteinlegung der Kreuzkapelle zum ersten Mal das große Bußkreuz auf den Rodenberg. Daraus entwickelte sich die bis heute in Menden lebendige Tradition der alljährlichen Karfreitags-Kreuztracht. Im darauf folgenden Jahr 1685 heiratete Schmittmann Anna Maria von Mellin, die aus einem angesehenen Werler Adelsgeschlecht stammte. Es wäre denkbar, dass das frisch vermählte Ehepaar zu diesem Zeitpunkt das Retabel für die St.Vincenz-Kirche gestiftet hat. Viel später kann es jedenfalls nicht entstanden sein, da Schmittmann bereits 1691 verstirbt.

Reiche und kostbare Ornamentik

Das ursprüngliche Aussehen des Retabels lässt sich gut rekonstruieren. Auf dem dreieinhalb Meter breiten Sockel des Hauptgeschosses waren außen und auf den beiden Vorsprüngen spiralförmig gedrehte Säulen platziert, zwischen denen sich drei Nischen befanden. Die beiden äußeren Platten mit den schmalen Nischen sind erhalten, die große Nische im Zentrum kann anhand eines erhaltenen Baldachins sicher rekonstruiert werden. Der Aufsatz über dem Hauptgeschoss wurde von einem Tympanon bekrönt, das an beiden Seiten auf hohen mit Kartuschen besetzten Platten ruhte. Dazwischen muss sich eine Nische oder ein Bildfeld befunden haben, das ähnlich wie im Hauptgeschoss von vier gedrehten Säulen flankiert wurde. Vor dem Sockelgeschoss des Retabels an den Seiten der Mensa befanden sich die beiden Podeste mit den Stifterinschriften, über denen hohe volutenförmige Konsolen platziert waren. Ähnliche Konsolen fanden sich an den Seiten des Sockelgeschosses. Die unterschiedliche Höhe beider Konsolen lässt darauf schließen, dass das Retabel auf den Stufen einer Treppe stand.

Ein äußerst seltenes westfälisches Werk

Der formale Aufbau des Schmittmann-Retabels (Verkröpfung von Sockel und Gebälk mit Vor- und Rücksprüngen, Geschosse durch trennende Horizontalgesimse gebildet, Vertikaltendenz im Zentrum, eingestellte Figurennischen) ist für seine Entstehungszeit Ende des 17. Jahrhunderts ziemlich ungewöhnlich. Es orientiert sich an Formprinzipien der niederländischen Renaissance, wie sie von Cornelis Floris an der Fassade des Rathauses von Antwerpen seit 1561 entwickelt wurden. Dessen Geschossbildung war vorbildlich für die gesamte Architekturentwicklung Nordeuropas und nahm starken Einfluss auf den Aufbau von Retabeln. In Westfalen ist dieser Typus jedoch relativ selten anzutreffen, das späteste Beispiel ist das Hochaltarretabel der protestantischen Marienkriche in Lippstadt von 1663 – in den 80er Jahren ließ sich dieser Typus bisher nicht mehr nachweisen.

Die Rekonstruktion des Schmittmann-Retabels zeigt ein für westfälische Retabel außergewöhnlich hohes Sockelgeschoss. Es ist so hoch, dass ein Tabernakel die Höhe des Sockelgeschosses nicht überragen würde. Für eine derartige Konstruktion lässt sich in Westfalen nur ein weiteres Beispiel benennen, das man als direktes Vorbild bezeichnen muss. 1628 stiftet Johannes Wulff, damaliger Bürgermeister von Menden, ein Retabel für den Hochaltar der St.Vincenz-Kirche. Dieses bis heute in der St.Vincenz-Kirche aufgestellte Retabel zeigt in den Grundzügen denselben Aufbau wie das auf dem Turm gelagerte. In beiden Fällen liegt das Hauptgeschoss über einem ungewöhnlich hohen Sockelgeschoss und zeigt an den Seiten von Säulen gerahmte Nischen. Diese werden zusätzlich durch die Figurenkonsolen betont, die in der gleichen Achse oben auf dem Aufsatz platziert sind.

Ein Altar als Zeichen der Konkurrenz?

Gemessen an dem Bestand westfälischer Altäre könnte man das Schmittmann-Retabel für äußerst rückständig halten. Der unbekannte Künstler war aber über die neuesten Entwicklungen informiert. Dies zeigt sich an den spiralförmig gedrehten Säulen, die man in Westfalen erst seit dem Neubau des Hochaltars im Dom von Paderborn ab 1661 nachweisen kann. Abgesehen davon orientiert sich der Künstler jedoch an Aufbauprinzipien, die bereits mehr als hundert Jahre früher entwickelt wurden. Der Aufbau des Schmittmann-Retabels ist aber nicht als Zeichen provinzieller Rückständigkeit, sondern vielmehr als bewusster inhaltlich begründeter Rückgriff zu werten.

Zur Amtszeit von Wennemar Schmittmann arbeitet der Enkel des Hochaltarstifters Wulff in Menden als Gerichtsschreiber. Er war von Amts wegen an der Festlegung des Bauplatzes für die Kreuzkapelle beteiligt, gemäß seiner Funktion aber nur in zweitrangiger Position. Als Schmittmann das Retabel für die St.Vincenz-Kirche stiftete, war der bedeutendste Platz dafür – der Hochaltar – bereits durch die Stiftung der Familie des Gerichtsschreibers Wulff besetzt. Schmittmanns rekonstruiertes Retabel hat riesige Ausmaße, seine Gesamthöhe beträgt 7,00 bis 7,50 Meter.  Ein derartig großes Retabel konnte nur an den Ostenden der Seitenschiffe oder auf dem (heute verschwundenen) Kreuzaltar in der St.Vincenz-Kirche aufgestellt werden. Tatsächlich findet sich im Pfarrarchiv eine Aktennotiz, nach der man 1709 den Kreuzaltar versetzen musste, da er die Sicht auf den Chor versperrte. Eine rekonstruierte Ansicht der ursprünglichen Raumverhältnisse, bei der das Retabel an der Stelle des Kreuzaltares eingezeichnet ist, zeigt deutlich, dass damit der Blick auf den Chor fast vollständig verdeckt worden wäre. Durch den formalen Rückgriff auf das ältere Vorbild konnte Schmittmann mit seiner Stiftung das Wulffsche Retabel optisch quasi ersetzen, ohne dabei in einen allzu großen Konflikt mit der Familie Wulff zu geraten. Von dem von Johannes Wulff gestifteten Retabel war nichts mehr zu sehen, Schmittmanns Stiftung dagegen war unübersehbar und damit der Bedeutung seiner Person angemessen.

Vermutlich gehören die beiden Holzfiguren des Hl. Vincenz und der Hl. Walburga, die sich derzeit im Pfarrzentrum befinden, zum ursprünglichen Figurenprogramm des Retabels. In der Hauptnische im Zentrum dürfte eine Marienklage oder eine Kreuzigungsszene gestanden haben.

Stichwort Altarretabel

Als Altarretabel (von lat. retro tabula altaris „Tafel hinter dem Altar“) bezeichnet man jeden Altaraufsatz – im deutschen Sprachgebrauch oft einfach mit Altar gleichgesetzt –, also eine Schauwand, die entweder direkt auf die Mensa eines Altars aufgesetzt ist, auf einem separaten Unterbau hinter dem Altartisch aufgestellt oder an der Wand hinter dem Altar befestigt ist.

In Renaissance und Barock wurde das hinter dem Altar stehende Retabel üblich, wobei auf Flügel meist verzichtet wurde und nur das Mittelbild (auch Altarblatt genannt) übrigblieb.

 

  • Informationsbroschüre herunterladen: PDF-Datei